©opyright by attia-art
Die polyphonen Sedimente sind eine Verneigung vor E.W. Said. Hörbar ist hier der Klang der Sprache, die ihr innewohnende emotionale Kraft wird in in all ihren Facetten, von Lachen bis Verachtung spürbar, wenn sie im Raum klingt.
Entlang der von Said entwickelten Diskursanalyse zum Bild des Orientalen in der europäischen Kultur, mit dem Fokus des „Orientalismus“, sind hier Zitate zu hören – von Aeschylos, über Dante zu Kant und Flaubert.
Von Diderot über Freud und Kipling zu Orwell, bis zu Aussagen aus Politik und Unterhaltung jüngster Vergangenheit.
So wird ein Bild des Fremden hörbar, spürbar, das sich über Jahrhunderte formte und bis heute wirkt. Diese Klischees und Stereotype schillern in grosser Ambivalenz, auch positive, verklärende Bilder finden sich, diese sind hier mit weiblichen Stimmen hörbar, das Negative klingt männlich. Die gesprochene Sprache ist Deutsch. Der kongeniale Ort der ersten Installation war der Keller des Blauen Hauses, eine Gedenk und Forschungsinstitution im ehemaligen Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde in Breisach.

Die polyphonen Sedimente sind das Preludio zu „Boule“. Die Grenze zur vollständigen Exklusion wie sie in „Boule“ vollzogen ist, zeigt sich hier in der Sprache, im Denken und Fühlen, vor einer Handlung. Eine Haltung welche die mögliche Tat vorbereitet. Noch ist es nur „Sprache“.
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The polyphonic sediments are a tribute to E.W. Said. The sound of the language is audible here, the emotional power inherent in it can be felt in all its facets, from laughter to contempt, when it sounds in the room. Along the discourse analysis developed by said on the image of the oriental in european culture, with a focus on „orientalism“, quotes from Aeschylus, Dante, Kant and Flaubert are included here. From Diderot to Freud, Kipling and Orwell, to statements from politics and entertainment of the recent past. In this way, an image of the foreign becomes audible, tangible, which has been formed over centuries and still has an effect today. still has an effect today.
These clichés and stereotypes shimmer with great ambivalence; positive, glorifying images can also be found.

These are audible here in female voices, the negative sounds masculine. The spoken language is German.
The congenial location for the first installation was the cellar of the Blue House, a memorial and research institution in the former community center of the Jewish community in Breisach. The polyphonic sediments are the preludio to „Boule“. The border to complete exclusion as it is carried out in „Boule“ is shown here in language, in thinking and feeling, before an action.
An attitude that prepares the possible act. It is still only „language“.
Rezension von Claudia Müller in der Badischen Zeitung , 6 September 2017
Zum europäischen Gedenktag der jüdischen Kultur konnte im Keller des Blauen Hauses in Breisach die Klanginstallation „Polyphone Sedimente“ des Künstlers Alexander Attia besichtigt werden.Zum europäischen Gedenktag der jüdischen Kultur lud das Blaue Haus in Breisach auch in diesem Jahr wieder ein.Führungen durch das ehemalige Gemeindehaus sowie zum alten jüdischen Friedhof und eine Sonderausstellug im Museum für Stadtgeschichte gaben Einblick in den Alltag der jüdischen Gemeinde in Breisach, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewaltsam ausgelöscht wurde. Als beklemmenden Kommentar zeigt der Freiburger Künstler Alexander Attia dazu im Keller des Blauen Hauses seine Klanginstallation „Polyphone Sedimente“ – eine intelligente und sinnlich erfahrbare Reflexion über die unheilvolle Macht der Sprache.
Zunächst einmal scheint das, was Attia anlässlich des Tages der europäischen Kultur im Keller des Blauen Hauses aufgebaut hat, eine sehr intellektuelle Angelegenheit zu sein. Zu sehen gibt es nicht viel.Lose um eine leere Mitte gruppiert stehen ein paar Stühle im Gewölbe verteilt. Auf dem unebenen Steinboden verlaufen Kabel, die rund ein halbes Dutzend kleiner Lautsprecher miteinander verbinden, aus denen ihrerseits unablässig Text erklingt. Es ist ein großes Durcheinander unterschiedlicher Erzähler und Inhalte, schwer nur lassen sich die einzelnen Fragmente voneinander unterscheiden.
Viel Raum für Interpretation
Auch der Titel der Installation „Polyphone Sedimente“ lässt viel Raum zum intellektuell-assoziativen Interpretieren und die mitgelieferte Beschreibung liest sich wie auf dem aktuellen Stand der universitären Identitätsforschung. Indem Attia Auszüge aus dem Kanon europäischer Literatur mit Politikerzitaten gleichzeitig erklingen lässt, möchte er, so die Erläuterung “ die suggestive Macht der Sprache verdeutlichen, die die Trennlinie einer Exklusion nach aussen – die anderen – und die damit einhergehende Identitätsstiftung nach innen – wir – geistig zieht.“
Das Bild der Sedimente ist klug gewählt und verweist auf jenen unwillkürlichen Prozess, in dem über Jahrhunderte unsere kulturgeschichtliche Identität entstanden ist. Gerade wie Gesteinsschichten setzen sich kaum merklich Selbstbilder, Klischees und Überzeugungen ab, an Bestehendes lagert sich Neues an und verwächst über die Zeit mehr und mehr zu jener kompakten und kaum aufzulösenden Masse, die der geistige Grund ist, auf dem wir stehen, handeln, denken und Meinungen bilden.
Beklemmendes Erlebnis
Neben diesem intellektuellen Zugang zwingt Attias Installation jedoch – und hierin liegt ihre Stärke – zur sinnlichen Auseinandersetzug. Der Gang durchs Kellergewölbe ist ein beklemmendes Erlebnis. Einzelne Stimrnen sind beim Näherkommen aus dem Vielklang herauszuhören, sie berichten vom Exotisch-Fremden, warnen vor dem Verlust des Eigenen, tragen Kataloge des Anderen vor.
Manchen der Texte sind in Sprache und Stil das Alter anzuhören, andere wiederum geben in ihrer Form als Zeugnis unserer Zeit zu erkennen. Ruhig rezitieren männliche und weibliche Sprecher, manch einer in einer Endlosschleife die immer gleichen Sätze, manch eine sich verhaspelnd und stets von Neuem beginnend, sodass vom Text nur noch ein Lallen bleibt. Im gemeinsamen Ertönen dieser unterschiedlichen Stimmen klingt das Textgewirr mal beruhigend wie eine Gutenachtgeschichte, dann wieder hetzerisch oder wie Beschwörungsformeln. Damit entsteht im geduckten Keller unter dem Blauen Haus eine Klangfülle, die gesichtslos und ohne Unterlass vom Anderen und vom Eigenen, von Hass und Abgrenzung schwadroniert.
Attia macht den Diskurs vom Fremden, der eigentlich in der Tiefenstruktur unserer Kultur liegt, auf diese Weise als bedrängendes Erlebnis erfahrbar, seine Installation schliesst die intellektuelle und die sinnliche Ebene kurz und mit einem Mal ist dieses Hintergrundrauschen unseres Bewusstseins hörbar, in all seiner Kraft und Gewalt.